Vor 22 Jahren schafften zahlreiche Engagierte, Unternehmer, Freunde und Förderer der Stadt Billerbeck eine künstlerische Verbindung vom Rathaus zur Freilichtbühne: Die "Theatermeile". Diese Meile besteht aus einem Stadtrelief und 14 künstlerischen Objekten, Plastiken und Skulpturen von Darstellungen aus der Theaterwelt. Begegnen Sie Puck, dem Gehilfen des Elfenkönigs Oberon aus Shakespeares Mittsommernachtstraum, dem Galgenvogel aus Morgensterns Galgenliedern, Hans-guck-in-die-Luft aus dem Struwwelpeter von Heinrich Hoffmann und weiteren illustern Gestalten aus der Welt des Theaters.
"Möge jede der Stationen lohnen den Besuch, Erkenntnis schenken und anregen zum Bedenken" - so der Wunsch der Akteure. Lauschen Sie an den drei Objekten Der Galgenvogel, Der verwunschene Schwan und Max und Moritz den Gedanken unserer Billerbecker Autorin Sarah Bosse - per QR-Code kommen Sie direkt am Objekt zu den jeweils ca. 3minütigen Audiodateien. Musikalisch untermalt von Simon Bosse. Natürlich können Sie sich auch vorab schon mit den Audiodateien auf die Theatermeile einstimmen oder die Geschichten dazu lesen.
Gerne können Sie auch eine unterhaltsame Führung bei unserer Gästeführerin Monika Stockmann buchen. Diese dauert knapp 1,5 Stunden und kostet je Gruppe 50,00 EUR.
Eine schöne Übersicht liefert auch diese Seite: http://www.artcampus.de/theatermeile/
Der verwunschene Schwan
– Eine Plastik des Billerbecker Künstlers Michail Stamm
Wohlgewählt ist der Ort für diese wunderbare Plastik, die die Fantasie des Betrachters in hohem Maße beflügelt. Direkt vor dem Bahnhof, einem Ort des Ankommens und des Abschiednehmens, hockt er auf seiner Stehle, der verwunschene Schwan, der nun im Körper eines Mopses steckt. Den Rücken hat er dem Bahnhof zugewandt, beinahe so, als wollte er die schöne alte Allee, die Richtung Innenstadt führt, als Flugschneise nutzen. Der Mops steckt nämlich in einem Drahtgestänge, welches an die Flugmaschinen Otto Lilienthals erinnert.
Fast möchte man ihm zurufen: „Nein! Versuch es nicht! Du könntest dir deine viel zu kurzen Beine brechen und deine platte Nase wäre noch platter!“ Erinnert man sich doch daran, dass Otto Lilienthal bei einer Bruchlandung mit einer seiner Flugmaschinen sein Leben verlor. Ohnehin wirkt das Tier in seinem starren Gestänge wie gefangen. Dieses hat wenig hat von den eleganten Schwingen des majestätischen Schwans. Doch der Mops, er hat es offenbar schon selbst erkannt und schaut grimmig, ja unglücklich, gar zornig. Ob er eines Tages erlöst wird wie der Froschkönig? Eine leise Hoffnung besteht, denn es soll – und dieses spiegelt die Freude des Künstlers an Kontrasten und am Skurrilen wider - in einer kleinen, versiegelten Kammer des eisernen, plumpen Hundekörpers eine zarte Schwanenfeder verborgen sein.
In vielen experimentellen Arbeiten beschäftigte sich Michail Stamm mit dem Thema Klang. So waren ursprünglich auch hier zwei Stahlsaiten über das Fluggestell gespannt, die zum Schwingen gebracht wurden, wenn der Wind hindurch strich. Mit dem Lilienthal-Mops, der Aufnahme in die Billerbecker Theatermeile fand, setzte der Künstler einem ganzen Zyklus von Mops-Figuren einen Endpunkt. Ein Pendant zum Billerbecker Mops befindet sich im Schlosspark Stammheim in Köln. Angeblich hat dieser den Blick sehnsuchtsvoll nach Billerbeck gerichtet…
Über den Bezug zu Otto Lilienthal spannt sich auch der Bogen zum Thema Theater, denn der Flugpionier engagierte sich zeitweise im Berliner Ostend-Theater als Direktor, Schauspieler und Verfasser von Theaterstücken.
„Der verwunschene Schwan“ von Michail Stamm wurde in Eisengusstechnick hergestellt und mit Blattgold versehen. Gestiftet wurde er von der Familie Niehhoff vom Hotel Weißenburg.
Zum Hören:
Der Galgenvogel
– eine Bronzeplastik des Billerbecker Künstlers Jörg Heydemann
Von seinem Betonsockel herab schaut aus tiefen Augenhöhlen und mit aufgerissenem Schnabel ein Rabe dem Betrachter frech entgegen. Ein Rabe? Schnell hat man auch die menschlichen Füße der Figur entdeckt, die unter dem bronzenen Umhang hervorlugen und sich tänzelnd über die Bronzeplatte zu bewegen scheinen, und so mutet diese groteske Gestalt ein wenig an, als sei sie gerade dem venezianischen Karneval entstiegen. Verkleidung, Maskerade… Willkommen in der Welt des Theaters!
In der Doppeldeutigkeit der Figur, die als Rabenvogel und Mensch zugleich erscheint, wird auch die Doppeldeutigkeit des Begriffs Galgenvogel deutlich. So ist damit der Rabenvogel gemeint, der sich in früheren Zeiten als Aasfresser gern in der Nähe der Galgen aufhielt und den die Menschen daher verabscheuten. Ebenso wie sie jene Menschen verabscheuten, auf die sie den Namen „Galgenvogel“ übertrugen: Gauner, Gesindel, Pack. Weg damit! Die sind uns unheimlich!
Geheimnisvoll und etwas unheimlich kommt sie wirklich daher diese Figur und wurde vom Künstler auf der Säule so erhaben platziert, dass man bei ihrer Betrachtung den Dom stets im Blick hat. So spannt sich der Bogen zu den sagenhaften Kobolden, denen man nachsagte, in den Klüften der Sandsteinbrüche in den Baumbergen zu hausen, den Teitekerlken. Wann immer man mit der Arbeit beim Bau der Kirchen oder andere wichtiger Gebäude nicht vorankam oder es gar ein Unglück gab, hieß es, die Teitekerlken hätten ihre Hand im Spiel gehabt.
Dass der Galgenvogel auf den Betrachter von oben herabschaut, flößt diesem Respekt ein. Ja, soll er lieber dort sitzenbleiben auf seinem Betonsockel und da oben seine Galgenlieder krähen. Vielleicht die Galgenlieder Christian Morgensterns? In diesen sprachspielerischen Gedichten geht es häufig ebenso grotesk zu. Er könnte zum Beispiel dieses krächzen, es heißt „Nein!“
Pfeift der Sturm? Keift ein Wurm? Heulen. Eulen hoch vom Turm?
Nein! Es ist des Galgenstrickes dickes Ende, welches ächzte,
gleich als ob im Galopp eine müdgehetzte Mähre
nach dem nächsten Brunnen lechzte
(der vielleicht noch ferne wäre).
Der Galgenvogel von Jörg Heydemann wurde im Bronzeguss-Verfahren hergestellt. Gestiftet wurde er von der Volksbank Baumberge.
Zum Hören:
Max und Moritz
– Eine Skulptur der Billerbecker Künstlerin Mechthild Amman
An der Ecke zum Weihgarten, die Freilichtbühne schon fast im Blick, erwartet uns ein riesiger, in seiner Form belassener Block aus Baumberger Sandstein. Die Billerbecker Künstlerin Mechthild Amman hat zwei uns wohlbekannte Figuren herausgearbeitet: Max und Moritz.
Wir alle kennen die sogenannten „Bubenbeschichten in sieben Streichen“ von Wilhelm Busch, die im Jahr 1865 erstveröffentlich worden sind. Deutlich erkennen wir die Gesichter der beiden Jungen, die uns aus dem Stein frech entgegen grinsen, hier sieht man noch eine Hand, dort ein Stück Bein, ganz so, als seien die Jungen in dem Stein gefangen, wären aber gerade auf bestem Wege, sich hinaus zu fressen.Diese Szene erinnert an den sechsten Streich in Wilhelm Buschs Geschichte, in dem der Bäcker die Jungen, die gerade beim Brezeln-Stehlen in den Brotteig gefallen waren, kurzerhand in den Ofen schiebt und sie schließlich fertiggebacken wie Brotlaibe wieder heraus holt. Eine äußerst brutale Vorstellung, doch wie heißt es bei Busch?
„Jeder denkt: die sind perdü!
Aber nein, noch leben sie.“
Und so knabbern die beiden Jungen sich munter aus dem Brotteig heraus, gerade so, wie sie sich hier aus dem Sandsteinblock befreien.
Als „Buben“ oder „Lausbuben“ werden die beiden Charaktere beschrieben und ihre Taten als „Streiche“. Ein wirklicher Euphemismus, entpuppen sich ihre „Streiche“ doch bei genauer Betrachtung als brutale Straftaten, die ohne einen Grund aus purer Freude an der Tat von den Jungen begangen werden: mit Tierquälerei haben wir es hier zu tun, mit Körperverletzung und Diebstahl. Und so endet es böse für Max und Moritz, die Strafe folgt auf dem Fuße, der Müller schmeißt sie kurzerhand in die Mühle und macht sie zu Entenfutter. Die Erwachsenen agieren hier also in ihrer Selbstjustiz nicht weniger aggressiv und bösartiger als die Kinder selbst. Wilhelm Busch war es ein Anliegen, die Heuchelei des deutschen Kleinbürgers in der Kindererziehung vorzuführen. Die ganze Empathielosigkeit der Erwachsenen kommt in den Schlussstrophen zum Ausdruck.
Doch der brave Bauersmann dachte: „Wat geiht meck dat an!“ heißt es unter anderem.
Mechthild Amman hat in dieser Skulptur bewusst Elemente herausgearbeitet, die einen Bezug zur Gegenwart herstellen: Max begrüßt den Betrachter mit dem wohlbekannten Stinkefinger und Moritz hält einen Football in der Hand.
Das Stück „Max und Moritz“ wurde auf der Billerbecker Freilichtbühne bereits zwei Mal aufgeführt, nämlich in den Jahren 1984 und 2001. Geht man ein paar Schritte weiter Richtung Freilichtbühne, so kann man in einem Schaukasten einige Steinwerkzeuge betrachten.
Die Sandsteinskulptur „Max und Moritz“ wurde von der Kegelvereinigung „Et rappelt“ gestiftet.
Zum Hören: